Projekt
Stolpersteine Wolfenbüttel

der Klasse 9 d
(M. Hemminger)

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Namen und Spuren

Familie Berger, Großer Zimmerhof 21
Familie Cohn, Bahnhofstraße 4
Familie Cohn, Halchtersche Straß 8
Fritz Fischer, Fritz-Fischer-Straße 22 a
Familie Ilberg, Lange Herzogstraße 49
Familie Kirchheimer, Schützenstraße 20
Alfred Perkampus, Fritz-Fischer-Straße 9
Familie Pohly, Bahnhofstraße 3
Familie Reis, Lange Herzogstraße 26

 

Familie Schloss

Lessingstraße

Louis Schloss geb. 18.01.1881 in Zimmersrode; 1942 Nähe Riga erschossen

Johanna Schloss, geb. Bildesheim, 01.06.1885 in Salzkotten; 1942 Nähe Riga erschossen

Helmut Schloss, geb. 20.07.1915 in Wolfenbüttel; gestorben 1991 in Israel

Lotte Strauß, geb. Schloss (1913) in Wolfenbüttel; lebt 98-jährig in New York

Jeanette Bildesheim, geb. Schöneberg am 13.07.1850 in Salzkotten; gestorben 20.08.1939 in Berlin

Hier, in der Lessingstraße, lebte Familie Schloss, direkt neben der Synagoge.

Familienvater Louis Schloss nahm wie viele Juden auch am 1. Weltkrieg teil und kehrte von dort unverletzt zurück. Auch Louis Schloss nahm am öffentlichen Leben Wolfenbüttels teil, so fungierte er mehrfach als Wahlvorstand.

Louis Schloss betrieb mit seinem Bruder Nathan aus der Halchterschen Straße die Viehhandlung Gebr. Schloss.

Auch die Familie Schloss bekommt den stärker werdenden Antisemitismus in Wolfenbüttel schnell zu spüren.

Tochter Lotte Schloss besuchte damals das Anna-Vorwerk-Lyceum, das heutige Gymnasium im Schloss. Während der Religionsstunden musste sie sich auf die hinterste Bank setzen und sich anhören, wie der Pastor die Juden als Gottesmörder bezeichnete.

Die Wolfenbütteler SA-Kapelle unter Leitung von Heinrich Pinkernelle stellte sich vor dem Haus der Familie Schloss auf und spielte antisemitische Lieder.

Helmut und Lotte Strauß verließen Wolfenbüttel vor 1933.

Johanna und Louis Schloss zogen mit Jeanette Bildesheim vor 1938 nach Berlin.

Nach der Wannseekonferenz und dem Beginn der sogenannten „Endlösung“  wurden auch  Louis und Johanna Schloss  am 3. Oktober 1942 deportiert und in der Nähe von Riga erschossen.

Auf dem jüdischen Friedhof in Wolfenbüttel liegt zur Erinnerung an die Eheleute Schloss eine Grabplatte.

Das Grundstück der Familie wurde am 10.08.1943 vom Reich übernommen. Das hieß schlichtweg, es wurde ihnen weggenommen, ihr Besitz vom deutschen Staat geraubt.

Die Familie flüchtete nach Berlin, wo sie in einem Sommerhaus der Familie wohnen konnte. Jeanette Bildesheim, die Großmutter der Familie, verstarb dort im Alter von 89 Jahren. Ihr Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Berlin.

Helmut Schloss flüchtete nach Palästina.

Seine Schwester Lotte heiratete in zweiter Ehe Herbert Strauß und nahm seinen Nachnamen an.

Nach dem Fall der Mauer schrieb Lotte Strauß in der englischsprachigen Ausgabe ihres Buches „Über dem grünen Hügel“, wie sie vom möglichen Tod ihrer Eltern durch Informationen vom Dokumentationszentrum in Riga erfuhr. Der Zug, in dem sich ihre Eltern befunden haben müssen, sei nicht registriert. Der Archivar nimmt an, dass der Transporter vor dem Erreichen der Stadt angehalten haben muss. Über das Schicksal der 791 Deportierten müsse das Schlimmste befürchtet werden. Hierzu möchten wir gerne eine Stelle aus ihrem Buch zitieren:

Ihre Geschichte hat alptraumartige Qualität - und es ist schwierig, es niederzuschreiben. Was ich für viele Jahre befürchtet habe, wurde nun furchtbare Realität. Ende 1942 wurden 40 000 Juden in die Wälder Rigas gebracht. Darunter waren 791 Juden aus Berlin. Ihr Schicksal stand fest: Massenhinrichtung.

(kurze Sprechpause)

Mehr als 700 Menschen wurden in den Wald zur Hinrichtungsstätte gebracht, wo russische Kriegsgefangene bereits die Gruben ausgehoben hatten. Die Menschen mussten sich ausziehen und an der Grube nebeneinander mit dem Gesicht nach unten, oder auch übereinander, hinlegen. Mit Maschinengewehrsalven wurden sie umgebracht.“

Im Mai 1983 fand in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel die Jahrestagung der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte zum Thema Emigration und Immigration von Wissenschaft statt. Herbert und Lotte Strauß waren anwesend.

Lotte Strauß:

Es schien mir widersinnig, als frühere Bürgerin von Wolfenbüttel willkommen geheißen zu werden, während mich qualvolle Erinnerungen erfüllten. So sehr ich mir der guten Absicht des öffentlichen Beifalls bewusst war, vermisste ich jegliche Erwähnung der schrecklichen Ereignisse, die meine Familie und meine Gemeinschaft zerstört hatten.“

 

Wir verlegen heute diese Stolpersteine, damit die schrecklichen Erinnerungen und das unvorstellbare Leiden dieser Familie auch heute noch zum Nachdenken anregt und damit Familie Schloss in unserer würdigen Erinnerung bleibt.

 

Nina Eggers und Skrollan Geck


 

Grußworte von Lotte Strauss
an alle Beteiligten an dieser Feierstunde
für die Setzung von Gedenksteinen zur Erinnerung an die Familie Schloss

 

New York, April 2012

 

Meine Grüße kommen aus New York. Ich bedauere, dass ich an dieser Feierstunde und der Setzung von Gedenksteinen für meine Familie nicht beiwohnen kann.

 

Die Vorstellung, dass Sie sich alle vor meinem früheren Elternhaus in der Lessingstraße versammelt haben und Stolpersteine für die Familie Schloss setzen, berührt mich sehr. Für meinen Vater Louis Schloss, meine Mutter Johanna, meinem Bruder Helmut und für mich, Lotte Strauss, geborene Schloss.

 

Meine Dankesworte richten sich an die, die sich lange dafür eingesetzt  haben, die Erinnerung an die Opfer des Holocaust und die jüdischen Familien, die in der Stadt Wolfenbüttel gelebt haben wachzuhalten. Sie haben damit begonnen, die Vergangenheit in die Gegenwart zu bringen, um den Schatten der schrecklichen Vergangenheit zu lichten.

 

Der Name Auschwitz ist ein Schreckenswort des vorigen Jahrhunderts. Die noch heute unfassbare Auslöschung aller derer, die unsere Kindheit und Jugend begleitet haben, die Trauer um unsere Eltern, werden Zeit unseres Lebens nie vergessen sein.

 

Aber auch wir, die wir dem grausamen Schicksal entronnen sind, haben eine Verantwortung zu erfüllen. Wir empfinden, dass Überleben eine Verpflichtung ist, Hass und Vorurteil in all seinen Formen zu bekämpfen, denn die Existenz einer multikulturellen Gesellschaft in einem modernen demokratischen Staat ist nur möglich, wenn von allen Seiten Toleranz gelebt wird und dass die Verantwortung für die Existenz dieses Staates von der jüngeren Generation getragen werden muss.

 

Sie, die hier Versammelten, leben in Wolfenbüttel, der Lessingstadt, und sind sich bewusst, dass unweit von hier Lessing gelebt hat und Nathan der Weise geschrieben hat. Ich hoffe, dass Lessings Glaube an Humanismus und Toleranz weiter lebt und von Ihnen erfolgreich fortgesetzt wird.

 

Ich danke Ihnen für die heutige Gedenkstunde und grüße Sie herzlich.

 

 

Lotte Strauss